Keith Bakker, Gründer und Direktor der 2006 entstandenen Suchtklinik The Smith and Jones in Amsterdam, sorgte in einem Interview mit der britischen BBC für einiges Erstaunen. Seine Klinik gehörte zu den ersten, in der Onlinespielsüchtige behandelt wurden und so hat er reichlich Erfahrung in diesem Bereich vorzuweisen. Um so erstaunlicher ist nun sein Statement, dass der Terminus “Onlinespielsucht” wohl in den meisten Fällen nicht zutreffend sei, weil viele Jugendliche zwar bei ihrem Antritt in der Klinik einige Symptome einer klassischen Sucht oder chemischen Abhängigkeit zeigten, gerade bei der therapeutischen Arbeit mit diesen Jugendlichen aber deutlich werde, dass das Problem an anderer Stelle gesucht und behoben werden müsse.
Bakker ist der festen Überzeugung, dass der Großteil seiner Patienten kein klassisches Entgiftungs- oder Entwöhungsprogramm braucht. “Was viele dieser Kids brauchen sind ihre Eltern und ihre Lehrer in der Schule – das ist ein soziales Problem”, so Bakker. In der Arbeit mit den angeblich Süchtigen, von denen viele aus dem Umfeld ds Spiels World of WarCraft kommen, zeigte sich Bakker und seinem Team ein relativ eindeutiges Bild. Oft genug sind diese exzessiven und Dauerzocker sich durchaus bewusst, dass etwas nicht stimmt. Sie entschieden sich aber bewusst dafür, sehr viel Zeit mit Onlinespielen zu verbringen. Und hier, in dieser bewussten Entscheidung, liegt einer der Hauptunterschiede zu klassischen Suchterkrankungen.
Die Jugendlichen suchen in den Onlinespielen oft etwas, das ihnen im wirklichen Leben vorenthalten wird – Bestätigung, Akzeptanz, Anerkennung, Freundschaft. Ein 18jähriger Patient der Klinik, der teilweise mehr als 10 Stunden täglich Call of Duty 4 spielte, berichtet, dass er “das Spielen mochte, weil die Leute mich nicht sehen konnten, sieakzeptierten mich als meinen Online-Charakter – ich konnte gut in etwas sein und mich zu einer Gruppe zugehörig fühlen”. Bakker zufolge dürfte dieses Gefühl für den Großteil seiner Patienten – und könnte damit wohl auch für den Großteil allerin vorgeblich “Onlinespielsüchtigen” dieser Welt zutreffen: 80 Prozent der Klinikpatienten wurde in der Schule geärgert, gequält oder schikaniert und fühlten sich isoliert. Den Gedanken weiterführend weist er darauf hin, dass der Großteil dieser Probleme durch Kommunikation behoben werden könnte.
Für ihn liegt ein Teil der Problematik bei Eltern, die ihrer Fürsorge- und Aufsichtspflicht nicht nachkommen. Es wäre an diesen, ihren Kindern Alternativen zum Spielen aufzuzeigen, sie zu bestärken und bei der Lösung der akuten Probleme, zum Beispiel in der Schule, behilflich zu sein. Volljährige Spieler allerdings, der BBC zufolge immerhin 87 Prozent aller Online-Spieler, müssten selbst aktiv werden.
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Erstveröffentlichung 26.11.2008 16:15 auf figh7club.com