Eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung des Zentrums für empirisch-pädagogische Forschung (ZEPF) der Uni Landau wirft ein überaus interessantes Licht auf jugendliche Computerspieler, auf typisches und weniger typisches Verhalten, auf mögliche Kategorisierungen, Erkennung von problematischem Verhalten und die Unterscheidung von ernsthaften Problemen und unproblematischem Enthusiasmus für ein Hobby. Damit nicht genug bietet die Untersuchung aber auch Erklärungsansätze und liefert nützliche Vorschläge und Denkanstöße für Eltern und Angehörige.
Auch für diese, wie für so viele Untersuchungen gilt, dass sie nicht empirisch sattelfest und damit nicht repräsentativ ist. 784 Personen füllten den Online-Fragebogen aus, gerade 688 Datensätze davon waren verwertbar. Als problematisch stellte sich die Zusammensetzung der Teilnehmer heraus, denn offenbar wurde der Fragebogen überwiegend in Fanforen bestimmter Spiele beworben. Ausserdem nahmen an der Befragung 81% Jungen und nur 19% Mädchen teil, was offensichtlich weder dem Verhältnis von Männern zu Frauen in der Bevölkerung noch unter den Videospielern entspricht. Zudem besuchten beinahe 65% der Befragten ein Gymnasium.

Grob umrissen

Dennoch lassen sich anhand der Untersuchung einige Eindrücke gewinnen, die sicher zum Teil auch auf andere Bereiche übertragen werden können. Zu den Kernfragen der Untersuchung gehört die Frage nach einer Spielsucht und danach, woran man erkennt, ab welchem Umfang und aufgrund welcher Symptome Spielekonsum problematisch wird.

Die Studie unterteilt in vier Kategorien:

  • Nicht- und Wenigspieler, die höchstens ein bis dreimal pro Monat am Computer spielen
  • Regelmäßige Spieler, die mindestens drei bis vier mal pro Woche am Computer spielen
  • Vielspieler, die drei bis vier Mal pro Woche und zwei Stunden an Schultagen spielen
  • Pathologische Spieler, die die gleichen Kriterien wie Vielspieler und zudem diverse weitere “Problemkriterien” erfüllen.

Betrachtet man die Eingangs erwähnten Rahmenbedingungen der Befragung, dürfte es wenig überraschend sein, dass beinahe die Hälfte (48%) der Befragten Vielspieler sind, immerhin 29,8% regelmäßig spielen und immerhin 11,3% bereits ein pathologisches, also ein krankhaftes Spielverhalten aufweisen. Allerdings gibt es auch in der Gruppe der hier Befragten noch 10,9%, die zu den Nicht- oder Wenigspielern zählen.
In der Aufschlüsselung werden auch schon geschlechtsspezifische Unterschiede deutlich. Mit 53,7% sind die Vielspieler stärkste Gruppe bei den Jungen, während bei den Mädchen 40,3% regelmäßige Spielerinnen deie größte Gruppe darstellen. Auffällig allerdings: 12,5% der Jungen und immerhin 6,2% der befragten Mädchen fallen in die Gruppe der Pathologischen Computerspieler.

Und das heißt?

Für sich genommen sagt dies, wie Eingangs geschildert, noch nicht viel aus. Aus der kleinen und alles andere als repräsentativen Stichprobe lassen sich keine allgemeingültigen Schlüsse ziehen, wohl aber Hinweise und grundlegende Denkanstöße. Zu den Hauptthemen der Untersuchung gehörten nämlich einige Punkte, die in der hier auftretenden Häufigkeit durchaus Rückschlüsse zulassen.

Diese Punkte sind Stresswahrnehmung und Stressbewältigung, zwei Faktoren, die bei pathologischen Computerspielern offenbar stark verzerrt stattfinden. Sie empfinden Stress als extremer als gleichaltrige Jugendliche der anderen Kategorien und können deutlich schlechter damit umgehen. Während nicht-pathologische Spieler sich den Problemen stellen und sie zu bewältigen versuchen, vermeiden die pathologischen Spieler stressige Situationen durch Flucht ins Computerspiel. Die Studie sieht in der Vermeidung einen Zusammenhang mit körperlichen und psychischen Erkrankungen. Bei den anderen Spielertypen gab es keine erwähnenswerten Abweichungen.

Auffällig an den Spielepräferenzen ist, dass World of Warcraft ganz eindeutig das bevorzugte Spiel der pathologischen Computerspieler ist, während die Sims in dieser Gruppe gar keinen Anklang fanden. Umgekehrt gilt das für die Wenigspieler – diese lieben offenbar die Sims, beschäftigen sich aber nicht mit World of WarCraft. Für die anderen abgefragten Genres, egal ob MMORPGs allgemein, Shooter oder auch Strategiespiele, unterschieden sich die Vorlieben der Spielerkategorien nicht wesentlich.

Allgemein lässt sich über Pathologische Spieler sagen, dass sie in ihren Lebenssituationen deutlich unzufriedener sind und generell eher einen ängstlichen oder gar abweisenden Umgang mit anderen Menschen pflegen.

Und daraus folgt?

Die Studie betont, dass häufiges und langes Computerspielen für sich genommen noch kein pathologisches Phänomen darstellen, sondern nur in Verbindung mit den angesprochenen zusätzlichen Symptomen.

Die Studie warnt vor schlichten Verboten. Zu wichtig könnte das Computerspielen in den Leben mancher betroffener Jugendlicher als Mittel der Stressbewältigung sein, so dass durch ein einfaches Verbot mehr Schaden angerichtet als Nutzen erzielt werden würde. Stattdessen sollen Erwachsene, speziell Eltern, versuchen, sich in das Kind hineinzuversetzen und Bedeutung und Funktion des Spiels und Spielens zu verstehen. Speziell die Frage, ob das Spiel der Unterhaltung oder der Stressbewältigung dient, ist dabei wichtig. Es ist dann darauf zu achten, dass der Vermeidungsstrategie “Computerspielen” eine echte, aktive Bewältigungsstrategie gegenübergestellt und beigebracht wird.

Nicht zuletzt fordert auch diese Studie eine der Kernthesen in der scheinbar ewigen Debatte: Eltern sollen, ja müssen sich mehr Zeit für ihre Kinder und deren Probleme und Sorgen nehmen, ihre Kinder unterstützen, Zeit mit Ihnen verbringen und damit nicht nur eine alternative Freizeitgestaltung sondern auch moralische und seelische Unterstützung bieten.

Die Studie mit dem Titel “Merkmale pathologischer Computerspielnutzung im Kindes- und Jugendalter” kann im PDF-Format direkt vom Server der Uni Landau heruntergeladen werden. Das gerade mal 22 Seiten umfassende Dokument ist auch für Laien verständlich und größtenteils trotz wissenschaftlicher Färbung ansprechend geschrieben.


Erstveröffentlichung 30.07.2008 10:00 auf figh7club.com