Man mag ja von Crysis halten, was man will. Nach FarCry schickte Crytek uns also wieder auf eine tropische Insel, um zwischen Palmen, reichlich Gestein und azurblauem Meer eine Vielzahl deformierter Geschöpfe zu bekämpfen – und die Rede ist nicht von den Nordkoreanern. Fast schlimmer als die Frage nach dem Schauplatz oder den Gegnern ist für mich aber ein wenig die Frage nach meiner virtuellen Inkarnation – immerhin möchte man ja auch nicht als Joe Jedermann durchs Land ziehen.
Nun wird uns die Frankfurter Spieleschmiede bekanntermaßen mit “Crysis: Warhead” ein weiteres Ticket in die Südsee buchen und dabei nicht die Geschichte aus Crysis weitererzählen, die ja mehr Fragen offen ließ als beantwortete, sondern einen parallelen Handlungsfaden aus dem Hut zaubern.
Schade, mag da mancher denken, immerhin wären ja doch noch einige Punkte zu erklären. Gut möglich, dass Warhead das leistet, denn mit dem parallelen Handlungsfaden kommt auch ein neues Alter Ego für den Spieler. Statt Crysis-Nomad, oder “Nomad(0)”, wie man ihn angesichts der zahlreichen namenlosen Multiplayer-Spieler vielleicht nennen sollte, schickt Crytek dessen Kollegen Psycho im Nano-Suit durch die Wälder.
Watt? Wer bist du denn?
Ich persönlich denke mir da… “Schade. Muss das wirklich sein?” und erinnere mich an andere Spieleserien, bei denen im Laufe der Zeit der Protagonist gewechselt wurde, mal zum etablierten Sidekick und mal nicht.
Zu den markanteren gehört da für mich ganz klar Christopher “Maverick” Blair, Spielercharakter in je nach Interpretation gut einem halben Dutzend Veröffentlichungen der “Wing Commander”-Reihe. Nicht zuletzt als “Herz des Tigers” aus Wing Commander III und IV wuchs mir der in jenen Teilen – und WC: Prophecy – von Mark “Luke Skywalker” Hamill dargestellte, spürbar von Jahren des Krieges und schweren, persönlichen Verlusten gezeichnete Konföderationsheld ans Herz. Blair war der Wing Commander, ich war der Wing Commander – also war ich Blair.
Nie im Leben hätte ich Todd “Maniac” Marshall sein wollen, das ständig neidische Großmaul mit dem übersteuerten Ego, das wohl nicht zu Unrecht nie richtig aus Blairs Schatten treten konnte.
Für Wing Commander Prophecy, den fünften Teil der regulären Story, wurden Blair und Maniac dann zu Randfiguren und durch die – im direkten Vergleich zumindest – farblosen Kopien Lance Casey und Max “Maestro” Garrett ersetzt. Es folgte ein kostenlos veröffentlichtes Sequel – “Secret Ops” – ohne Videosequenzen, das den kleinlauten Schlusspunkt eines gut 10 Jahre lang erfolgreichen Franchises und angesehenen Entwicklungsstudios markierte.
Keine Brüder im Geiste, aber wenigstens Brüder unter Waffen
Bezeichnender aber dürfte die Geschichte von Matt Baker und Joe Hartsock sein, den Protagonisten aus “Brothers in Arms” (BIA) beziehungsweise “Brothers in Arms: Earned in Blood” (BIA: EIB). Die Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen: Eingangs zieht der Spieler mit dem ruhigen, nachdenklichen und irgendwie verunsicherten Typen – Matt Baker in BIA und Nomad in Crysis – los. Im zweiten Teil, auch wenn “Warhead” kein offizielles Sequel ist, ist es dann ein menschlich absolut gegenteiliger Typ: aufdringlich, (vor-)laut, rauhbeinig, durchaus auch ruppig.
Ich persönlich konnte schon in den jeweiligen ersten Teilen nicht viel mit den ursprünglichen Sidekicks Hartsock und Psycho anfangen, eben weil sie auf mich genau so wirkten wie beschrieben. So ist es mir ein innerliches Festmahl, dass für den dritten Teil der “Brothers in Arms”, “Hell’s Highway” betitelt, der Protagonist wohl wieder Matt “Ich wollte nie Squadleader sein” Baker sein wird.
Für das “Crysis”-Universum bleibt mir nur zu hoffen, dass Crytek mir und allen ähnlich denkenden und fühlenden Spielern Nomad im offiziellen “Crysis 2″ zurückgibt. Sorry Psycho und Fans, meine Sympathien sind da klar verteilt.
In diesem Sinne: ein Herz für die stillen Typen.
Ursprüngliche Veröffentlichung: 15.07.2008 19:45 auf Crysisnews.de